Ein Gerichtsgutachten ist ein vom Gericht beauftragtes Sachverständigengutachten, das zur Klärung fachlicher Fragen in einem Rechtsstreit dient. Es kommt immer dann zum Einsatz, wenn das Gericht zur Beurteilung eines Sachverhalts spezialisiertes Fachwissen benötigt, das über die eigene Sachkunde hinausgeht – etwa bei Bau-, Technik-, Medizin- oder Bewertungsthemen. Der gerichtlich bestellte Sachverständige hat den Auftrag, den vorgegebenen Sachverhalt unabhängig, unparteiisch und objektiv zu beurteilen.
Ein Gerichtsgutachten kann nur vom Gericht selbst in Auftrag gegeben werden. Weder Parteien noch deren Vertreter können ein „gerichtliches“ Gutachten unmittelbar beauftragen. Hintergrund ist, dass das Gericht als neutrale Instanz die Verantwortung für die Beweiserhebung trägt und die Auswahl sowie Beauftragung des Sachverständigen steuert. Der Sachverständige steht damit im Lager des Gerichts und nicht im Lager einer der Parteien.
Gerichtsgutachten sind ein wesentliches Beweismittel im Sinne der Zivilprozessordnung und bilden häufig die zentrale Grundlage der richterlichen Überzeugungsbildung. Das Gericht ist zwar nicht an das Gutachten gebunden, muss sich aber inhaltlich mit dessen Ergebnissen auseinandersetzen und Abweichungen nachvollziehbar begründen.
Privatgutachten – auch Parteigutachten genannt – werden von einer Prozesspartei außerhalb des Gerichts beauftragt. Sie dienen dazu, den eigenen Standpunkt mit fachlicher Expertise zu untermauern, etwa zu Bauschäden, Mängeln, Wertfragen oder technischen Zusammenhängen.
Im Zivilprozessrecht gelten Privatgutachten nicht als selbständige Beweismittel im Sinne der ZPO, sondern als qualifizierter Parteivortrag.
Das bedeutet:
Das Gutachten wird wie eine substantiiert begründete Parteierklärung behandelt.
Der Richter muss sich mit den darin enthaltenen Einwendungen und Argumenten sachlich auseinandersetzen.
Wird ein Privatgutachten inhaltlich bestritten, ist das Gericht in der Regel gehalten, durch ein eigenes Gerichtsgutachten Beweis zu erheben.
Die Bezeichnung „Privatgutachten“ bedeutet nicht, dass der beauftragte Sachverständige weniger fachlich qualifiziert wäre. Der unterschiedliche prozessuale Stellenwert ergibt sich daraus, dass ein einseitig beauftragter Sachverständiger aus Sicht des Gerichts nicht dieselbe Gewähr der Unabhängigkeit bietet wie ein gerichtlich bestellter Sachverständiger.
Gleichwohl können Privatgutachten:
Widersprüche oder Lücken in einem Gerichtsgutachten aufzeigen,
Anlass für ergänzende Fragen oder ein weiteres Gerichtsgutachten geben,
im Einzelfall so überzeugend sein, dass ein weiteres Gutachten entbehrlich wird, wenn das Gericht den Sachverhalt aufgrund eigener Sachkunde und der im Gutachten enthaltenen Feststellungen ausreichend klären kann.
Stehen die Ergebnisse eines Privatgutachtens im Widerspruch zu einem Gerichtsgutachten, ist das Gericht verpflichtet, sich aktiv mit diesen Einwendungen zu befassen. Es darf nicht ohne nachvollziehbare Begründung einem der beiden Gutachten einfach den Vorzug geben. In der Praxis erfolgt dies häufig durch:
schriftliche Ergänzungsfragen an den gerichtlichen Sachverständigen,
mündliche Anhörung des Sachverständigen unter Erörterung der im Privatgutachten erhobenen Kritikpunkte,
gegebenenfalls die Einholung eines weiteren Gutachtens (Zweit- oder Obergutachten).
Privatgutachten können sowohl vor Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens als auch während eines laufenden Prozesses eine wichtige Rolle spielen, etwa:
zur internen Entscheidungsfindung, ob eine Klage oder Verteidigung Aussicht auf Erfolg hat,
zur Aufbereitung des Sachverhalts für anwaltliche Schriftsätze,
zur Vorbereitung von Beweisanträgen,
zur fachlich fundierten Diskussion mit einem später gerichtlich bestellten Sachverständigen.
In vielen Fällen trägt ein qualifiziertes Privatgutachten dazu bei, Vergleichslösungen zu erleichtern oder den Streitstoff zu fokussieren, bevor das Gericht ein aufwändiges Beweisprogramm anordnet.
Die Kosten von Privatgutachten werden zunächst von der Partei getragen, die den Sachverständigen beauftragt. Unter bestimmten Voraussetzungen können sie im Rahmen der Kostenerstattung eines Rechtsstreits ganz oder teilweise ersatzfähig sein, wenn das Privatgutachten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung erforderlich war. Dies wird im Einzelfall von der Rechtsprechung bewertet.
Im Bau- und Immobilienbereich kommen sowohl Gerichtsgutachten als auch Privatgutachten besonders häufig vor, etwa bei:
Mängelstreitigkeiten (Bauschäden, Feuchtigkeit, Schimmel, Risse, Abdichtungs- und Dämmprobleme),
Honorar- und Abrechnungsstreitigkeiten,
Streitigkeiten über Verkehrswerte, Mietwerte oder Flächenberechnungen,
Fragen zu Nutzbarkeit, Gebrauchstauglichkeit und Restnutzungsdauer von Gebäuden.
Gerichtsgutachten liefern hierbei die vom Gericht beauftragte, neutrale Beurteilung. Privatgutachten dienen als parteiische, aber fachlich begründete Gegenposition und tragen dazu bei, technische und wirtschaftliche Fragen im Verfahren sachgerecht herauszuarbeiten.
Gerichtsgutachten sind vom Gericht beauftragte, neutrale Sachverständigengutachten und gelten als Beweismittel im Sinne der ZPO.
Privatgutachten werden von einer Partei beauftragt und gelten als qualifizierter Parteivortrag, der vom Gericht in der Beweiswürdigung ernsthaft zu berücksichtigen ist, auch wenn sie formal kein eigenständiges Beweismittel darstellen.
Beide Gutachtenarten erfüllen unterschiedliche Funktionen, ergänzen sich jedoch in der Praxis: Gerichtsgutachten stellen die neutrale Entscheidungsgrundlage dar, Privatgutachten strukturieren und vertiefen den Parteivortrag.
Die bewusste Nutzung sowohl gerichtlicher als auch privater Gutachten ermöglicht es, komplexe technische Sachverhalte im gerichtlichen Verfahren transparent, fachlich fundiert und nachvollziehbar aufzubereiten.